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Vom Tunnelblick, Pechvögeln und Glückspilzen

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Der Tunnelblick hat einen schlechten Ruf. Dabei hat es die Natur gut mit uns gemeint, der Tunnelblick wurde uns als eine Überlebenshilfe mitgegeben.

Gehen wir zurück in die Zeit, als die Männer Jäger waren und die Frauen in der Höhle darauf warteten, dass die Ernährer mit etwas Essbarem zurück kamen. Auf der Jagd nach Essbarem war totale Fixierung auf die Beute überlebenswichtig. Auch wenn der Jäger plötzlich selbst auf dem Speiseplan eines Mammuts stand, hing sein Überleben davon ab, so schnell wie möglich Fersengeld zu geben. Nur nicht nach links und rechts sehen, das kostet wertvolle Zeit und reduziert die Überlebenswahrscheinlichkeit.

Hinter Selbständigen in einer Zwangslage sind nicht Mammuts her, sondern Stapel von unbezahlten Rechnungen, mit Exekution drohende Gläubiger oder Auftraggeber, die unerfüllbare Forderungen stellen. Wenn unser Unternehmen nicht läuft, stehen wir unter großem Stress.

Eine ganze Heerschar von Psychologen beschäftigt sich mit der Frage, welche Streiche uns unser Gehirn unter Stress spielt. Ein sehr aufschlussreiches Experiment, das den Zusammenhang zwischen Tunnelblick und Selbstzuschreibung als Glückspilz oder Pechvogel beleuchtet, möchte ich Ihnen hier vorstellen.

Das Experiment: Nicht weiterlesen!!

Der britische Psychologe Richard Wiseman bat zwei Gruppen von Menschen, die gleiche Aufgabe zu erfüllen. Die eine Gruppe von Teilnehmern empfand sich selbst als Glückspilze, die andere Hälfte der Teilnehmer sah sich selbst als Pechvögel. Die Aufgabe war simpel und bestand darin, in einer Zeitung die Anzahl der Bilder zu zählen.

Im Durchschnitt brauchten die Teilnehmer ca. zwei Minuten für diese Aufgabe, manche auch deutlich länger weil sie die Bilder zur Sicherheit ein zweites Mal durchzählten. Einige waren jedoch bereits nach wenigen Sekunden fertig!

Wie das? Blätterten sie einfach schneller?

Bereits auf der zweiten Seite hatte Wiseman die folgende Einschaltung hineingeschummelt:

»STOP COUNTING - THERE ARE 43 PHOTOGRAPHS IN THIS NEWSPAPER«

Die Information, dass die Zeitung 43 Bilder enthielt, wurde nicht als kleine, versteckte Botschaft platziert. Im Gegenteil, die Nachricht war in fetten, riesigen Lettern gedruckt und nahm eine halbe Seite ein, sie sprang einem geradezu ins Gesicht!

Sie werden es bereits erraten haben - es waren die Glückspilze, die in wenigen Sekunden die Aufgabe gelöst hatten. Die Pechvögel hingegen brauchten zwei Minuten und länger. Sie übersahen nicht nur den ersten Hinweis, sondern auch eine Botschaft, in der Mitte der Zeitung. Die Teilnehmer wurden ein zweites Mal aufgefordert, mit dem Zählen aufzuhören. Sie sollten dem Versuchsleiter mitteilen, dass sie diese Nachricht gelesen hatten und dafür 100 Pfund als Belohnung bekommen. Obwohl auch dieser Hinweis auffällig platziert war, entging den Pechvögeln die Belohnung.

Wenn wir die Chancen nicht mehr sehen…

Die Erklärung dahinter lautet in etwa folgendermaßen: Wenn uns mehrfach Dinge missglücken, entwickeln wir eine Grundangst. Es könnte wieder schiefgehen, wir könnten es wieder nicht schaffen. Diese Anspannung führt dazu, dass wir Chancen nicht mehr sehen und nützen können, weil wir auf der Suche nach einer ganz bestimmten Lösung sind.

Dabei geht es nicht darum, dass wir Chancen einfach links liegen lassen, die Lage ist verzwickter. Was nie in unser bewusstes Sichtfeld kommt, können wir nicht bewerten, aufnehmen oder verwerfen.

Der Tunnelblick nimmt uns also Wahlmöglichkeiten und Entscheidungsmöglichkeiten. Er beraubt uns nicht nur der Möglichkeit, eine Option als Chance zu erkennen und zu nutzen, er entzieht uns auch die Möglichkeit, eine Option zu verwerfen. Die Pechvögel im Wiseman-Experiment hatten nicht einmal die Möglichkeit, sich gegen die 100 Pfund Belohnung oder sich gegen die schnelle Lösung zu entscheiden, weil diese Option außerhalb ihres Wahrnehmungsradars blieb.

Sie halten das alles nur für graue Theorie?

Beispiel: Zielgruppen-Tunnelblick

Den Tunnelblick bauen wir auch auf, wenn wir ganz bestimmten Wunschvorstellungen - zum Beispiel von unserem Unternehmen - nachlaufen. So berichtete mir eine Unternehmerin, die vor etlichen Jahren erheblich ins Trudeln gekommen war, von ihrer persönlichen Tunnelblick-Erfahrung.

Ihr Unternehmen hatte bereits sehr frühzeitig mit der Entwicklung von 3D-Anwendungen begonnen und für sie war völlig klar: Architekten sind die ideale Zielgruppe. Diese wollten jedoch nicht so recht darauf anspringen und so liefen ihr die Kosten und die Zeit davon. Sie war dennoch auf Architekten als Zielgruppe völlig fixiert, konzentrierte ihre ganzen Anstrengungen darauf. Dabei entging ihr, dass sich in der Zwischenzeit für 3D-Anwendungen zahlreiche andere Märkte und damit potenzielle Kundengruppen entwickelt hatten. Für sie gab es nur ein Ziel: ihre Entwicklungen in der Architektenbranche zu etablieren.

Sie brauchte Jahre, um sich von dem finanziellen Desaster zu erholen.

Beispiel: Mein verpfuschtes Leben

Eine Form des Tunnelblicks ist auch, wenn man nur einen bestimmten Aspekt seines Lebens sieht und die anderen Aspekte negiert. Zum Beispiel: »Wenn mein Unternehmen nicht läuft, ist mein ganzes Leben verpfuscht.« Wir sehen keine alternativen Berufswege. Wir sehen keine Möglichkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. Wir sehen nicht mehr das Gute und Schöne in unserem Leben, das es auch noch gibt und das uns Kraft geben könnte. Selbst wenn es uns in großen Lettern angeboten wird.

Für immer Pechvogel?

In Stresssituationen reduziert unser Gehirn die Informationsmenge, die es verarbeitet und spult dann nur mehr einfache Programme ab. Zu Zeiten des Mammuts hatte das alles seinen Sinn. Leider war in diesem Konzept nicht vorgesehen, dass wir Jahrtausende später in einer viel komplexeren Welt leben werden. In einer Gesellschaft, in der Information und die Fähigkeit, diese zu nutzen, überlebensnotwendig ist.

In unserer heutigen Gesellschaft geht es nicht so sehr darum, am schnellsten zu rennen. Im Gegenteil. Wie uns das Wiseman-Experiment zeigt, ist oft derjenige im Vorteil, der anhält, einen Schritt zurücktritt und sich das Gesamtbild ansieht - auch nach links und rechts sieht.

Interessanterweise zeigte dieses Experiment auch, dass selbst die Pechvögel, wenn sie die Zeitung ohne Vorgaben durchblätterten, die halbseitigen Hinweise sofort sahen. Wir sind also nicht zwangsläufig in der Pechvogel-Spirale auf immer und ewig gefangen. Stress und Angst führen dazu, dass wir auf Autopilot laufen oder wie ein Wiener Fiakerpferd mit Scheuklappen. Stress hat also nicht nur Auswirkungen auf unsere körperliche und psychische Gesundheit, sondern auch darauf, ob wir noch in der Lage sind, alternative Lösungen überhaupt in Betracht zu ziehen.

Der Tunnelblick im Alltag

Es geht nicht immer um Existenzbedrohung, Unternehmer in Bedrängnis haben den Tunnelblick nicht für sich alleine gepachtet. Auch wenn wir unsere Rechnungen bezahlen können, wir alle erleben zumindest stressige Phasen, haben manchmal Angst, etwas nicht zu schaffen. Den Auftrag nicht rechtzeitig abliefern zu können, Ärger mit Kunden oder Lieferanten zu bekommen, die Familie zu verärgern weil wir selbst am Wochenende nicht abschalten können. Ich denke, jeder von uns hat so seine persönlichen Stresserfahrungen und Angstbeispiele.

Um zu den Glückspilzen zu gehören, muss man manchmal stehen bleiben, tief Luft holen und sich fragen: ist das wirklich so? Ist das alles in Stein gemeißelt? Muss ich wirklich bis Mitternacht an dem Auftrag arbeiten? Bricht wirklich meine Welt zusammen, wenn es mit dem Kunden oder Lieferanten Ärger gibt? Oder habe ich auch andere Optionen?

Ich behaupte nicht, dass es einfach ist. Schließlich müssen wir damit bewusst gegen die inneren Programme vorgehen, die uns die Natur mitgegeben hat - die Programme, die uns unter Stresssituationen auf Autopilot trimmen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Übungssache ist. Und natürlich habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass es manchmal tatsächlich nicht anders geht als »Augen zu und durch«. Aber das sind die Ausnahmen, nicht die Regel.

So sehe ich das.

Und Sie? Wie sehen Sie das?

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